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eine Art Anbaugebiet

Brief

zu stapelbar von Jan Borchert

Liebe O.

Derzeit reise ich durch eine seltsame Landschaft. Gestern bin ich seit langem wieder in eine Stadt gegangen. Es hat mich viel Überwindung gekostet. Als ich das Ortsschild hinter mir gelassen hatte, wusste ich warum. Die Stadt stand wie eine Wand vor mir. Sie schien mir undurchdringlich. Zu hell, zu laut, aber vor allem zu hoch. Ich nenne sie die hohe Stadt, obgleich auf dem Ortsschild Planstadt Stapelstadt stand. Es scheint hier in diesem Land eine Sitte geworden zu sein, den Städten Zunamen zu geben. Vielleicht denken die Menschen, die Stadt wäre dann wie sie. Ein Mensch mit Vor- und Zuname. Ich glaube aber, es nimmt den Menschen mehr, als es gibt, weil der Fokus schon im Namen auf das Eine sich richtet. Naja, das hat wohl mit den vielen Stapeln Geld und Fördermittelanträgen zu tun, von denen ich hörte. Obwohl die Stadt Planstadt heißt, habe ich keinen Stadtplan finden können. Nirgendwo. Deshalb bin ich kreuz die Quere gegangen. Es gibt hier jede Menge hohe Häuser. Die Menschen hierzulande stapeln ihre Wohnräume in rechtwinkligen Blocks über- und untereinander. Sie leben nur um schmale Wände voneinander getrennt. Irgendwie ist mir das sympathisch. Es ist archaisch. Wie die Erdhöhlen bei uns. Nur eben ziemlich eckig und winklig. Das verstört mich. Auch dass die Menschen in den Wohnungen und Häusern alles mögliche und unmögliche stapeln. Sie tragen Stapel an Zeug aus hässlichen Häusern mit künstlicher Fassade in ihre Wohnungen. Es gibt hier sehr viele von den hässlichen Häusern. Sie sehen alle gleich aus, bis auf das riesige Schild über dem Eingang. Diese Schilder verschandeln. Alles! Die Menschen hier nennen ihre Wohnhäuser Mietshäuser. Ich glaube eher es sind Speicher. Speicher wie die Speicher in der Hafenstadt von der ich dir schrieb. Die Mietshäuser speichern Unmengen Zeugs. Möglich, das ist so etwas wie Stapelverarbeitung. Ein Prozess, um die Unzufriedenheit für einen Augenblick tief zu stapeln. Vielleicht stapeln sie deshalb die vielen Dinge hoch. Ich habe gefragt, aber man hat mich einfach stehen lassen. Die Frau hat mich wohl übersehen und/oder überhört. Ich bin ja sehr klein im Gegensatz zu den Menschen hier. Wer hoch stapeln will, braucht wohl eine gewisse Größe. Evolution, du weißt, diese Art der Anpassung an die Verhältnisse. Obgleich die gewisse Größe im Allgemeinen nicht proportional mit der Größe an sich verläuft. Im Allgemeinen verlaufen sich die Parallelen und ich bin weiter kreuz die Quere meinem Weg nachgegangen, um ins Zentrum der Stadt zu dringen. Das Rathaus hat mir gefallen. Von außen. Drinnen stapelte sich auch wieder alles. Man steht dort lange Zeit in der Kommunikationsebene herum und

debattiert

debattiert

debattiert

debattiert

redet

ratet

rät

Das sind die Eckpfeiler. Wackelig wie du siehst. Schnell stürzt was zusammen. Deshalb bleiben sie vielleicht auf der Kommunikationsebene. Von dort kann man nicht tief fallen und erreicht schnell die Hintertür. Obgleich der eine oder die andere gern höher hinaus kommen würde, glaube ich. Berge von Aufgaben stapeln sich am Ende der Ebene. Mich zog es weiter. Weiter hinaus. In der Bibliothek gegenüber fand ich eine Wunderbar. Geschichte, Geschichten, Gedichte, Bücher, auch Hörbücher und und und. Wissen ohne Ende. Wahre Wissens- und Erkenntnisstapel. Dort wäre ich gern länger geblieben und hätte Stapel verarbeitet. Aber wie du weißt, halte ich es nicht lange aus in Städten. Also bin ich dem Ende zu gestrebt. Am Rande der Stadt schließlich: etwas Magisches! Genau das richtige für kleine Leute. Einfach, klein, mit Herz, guten Ideen und Gesprächen. Die Stapelbar „Car“. Die Betreiber sagten, sie würden dem Ort gern einen anderen Namen geben, aber die Planstadt hätte den Antrag für die Bar mit anderem Namen in einem Stapel Papier verschwinden lassen. Kompromisse. Ich schicke dir ein Lichtbild, das ein anderer Reisender gemacht hat. Eigentlich ein Bild vom Bild und so weiter. Du weißt, wie unsere Reise durch den Mikrokosmos. Deshalb auch die Fehlfarben. Die wahren Farben lassen sich nicht ablichten und stapeln. Die muss ein Meister herausarbeiten wie ein Bildhauer die Form aus dem Stein. Solche Meister trifft man in der Stapelbar. Alles geht ein Spur langsamer. Die Langsamkeit kommt mir entgegen. Sie ist das schönes Paar auf der Bank im Bild. Das Bild zeigt dir, was ich so schlecht beschreiben kann. Die Stapelbar „Car“ bietet jedem was: das Milchcar, die Darstellcar, den Hörcar, das Tanzcar und die Cars verändern sich stets und ständig durch die Gäste. Hier kommen die Menschen zusammen, die die hässlichen Häuser sooft es geht meiden und Menschen die keine Anträge stellen möchten, es sei denn man hat sich verliebt beim Tanzen. Und viele Reisende finden sich ein. Tiefgestapelt wird dort auch nicht gerade sondern krumm. Naja und auch hoch stapelt man in der Stapelbar. Aber Hoch und Tief stehen im Gleichgewicht auf der schiefen Ebene. Eine gute Statik. Liebe O., ich muss jetzt enden. Ich will die Bar ein wenig genießen. Im Milchcar stapeln sie die Getränke in Schichten. Die Barmenschen verdienen nicht viel Bares trotz der Schichten, aber ganz oben ist immer eine Krone aus Milchschaum oder Sahne.

innigst h.

kleine_leute

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