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eine Art Anbaugebiet

Das Band

Fortsätze angeregt durch Fortschreitende Verwandlung von Jana Weinert

So winzig die Bewegung war, so groß ihre Umarmung, so flüchtig war sie, dass Herr Koffer ihr wildes rotes Haar bald wieder zwischen den Felsen schwinden sah. Lange schaute er der Bewegung nach. Hie und da tauchte sie immer winziger werdend zwischen den Felsen auf, bis ihr Haar ganz und gar verschwunden war. Lange noch stand Herr Koffer und spähte in die Richtung, wo er sie hat zum letzten Mal leuchten sehen. Lange noch, aber sie tauchte nicht mehr auf und Herr Koffer besann sich wieder auf seinen Weg. Er setzte die Koffer ab, um den Zylinder aufzuheben. Der war zu Boden gefallen, als er seinen Kopf zurück gelegt hatte, den Gesang zu erheben. Wenigstens das war ihm von diesem Augenblick geblieben: Eine Beule im Zylinder und der Sound in seinem Bauch. Er ging weiter und konnte nicht sagen, ob schweren oder leichten Herzens. Hin und her gerissen traf es wohl am ehesten. Nein, hin und her gerissen traf es sogar sehr genau. Es schmerzte ihn in seinem Innern, als hätte jemand ein Gummiband zwischen Herz und Unterleib gespannt, das sich spannte und löste , spannte und löste und sich nur löste, um sich wieder zu spannen. Es zog und zerrte unerträglich in ihm und er wusste, er war getroffen. Wieder getroffen. Getroffen wie von der Zeit, bevor er all seine Koffer gepackt hatte, um sich auf den Weg zu machen über alle Berge. Das war es, was er versucht hatte mit Rotwein zu betäuben. Immer, wenn das Leben gut geworden war. So gut, dass es nicht auszuhalten war, dass man es betäuben musste oder verstärken. Niemand war da gewesen, mit dem er darüber hätte reden können. Niemand, den er fragen konnte ob Betäubung oder Verstärkung ihn beherrschte. Niemand, der Antwort gab. Niemand, abgesehen von der Postfrau. Doch die war stets in Eile. Hatte zu tun. Die vielen Briefkästen mussten gefüllt werden, während seiner stets leer geblieben war, gleich wie viele Briefe er selbst geschrieben hatte. Gut, zwei oder dreimal im Jahr eine Postkarte. Eine Geste immerhin. Aber sie sprach nur über Belanglosigkeiten: das Wetter und das Essen und die Unterkunft, in aller Kürze. Die restlichen Worte wurden wohl für anderes und andere aufgespart, an dem er nicht teil haben durfte oder konnte oder welch Verb immer oder… So blieb ungeklärt, ob das gute Leben ein wirklich gutes oder ein schlechtes war und ob es das eine wie das andere überhaupt gab. Vielleicht gab es das Leben nur ganz ohne Adjektive. Gern wäre er jetzt irgendeiner Arbeit nach gegangen. Etwas tun, auch das hatte stets geholfen. Aber hier gab es nichts zu tun. Was blieb, war Gehen und Herr Koffer ging und ging und ging.

– Hast du das gehört?, fragte der Floh

– Ja, natürlich höre ich Sie. Sie hocken in meinem Ohr.

– Nein ich rede nicht von mir, sagte der Floh, hör doch mal.

– Ich höre nichts., sagte Herr Koffer

– Du musst stehen bleiben, deine Schritte übertönen ja alles., sagte der Floh

Herr Koffer blieb stehen und wirklich, der Wind trug einen feinen Ton heran, der sich sofort dem Sound in seinem Bauch zugesellte. Ein Pfeifen im Ohr, das ihn auf seltsame Art nicht beunruhigte. Im Gegenteil, das Herz wurde ihm ein Stück weit leichter, weil er glaubte zu verstehen, was er hörte. Er wandte sich dem pfeifenden Wind zu und ging gegen ihn an.

– Würden Sie bitte aufhören, mit ihren Mundwerkzeugen zu klappern. Sie übertönen das Pfeifen., sagte Herr Koffer.

– Das ist der Wind., sagte der Floh, mich friert und gegen meine Mundwerkzeuge kann ich nicht an.

– Dann gehen Sie doch ein Stück tiefer in meinen Gehörgang., sagte Herr Koffer

– Ich weiß nicht, ob das Klappern tiefer in ihnen aufhört, da ist ein Labyrinth. Ich habe Angst, nicht mehr heraus zu finden., sagte der Floh.

– Sie müssen sich entscheiden. Jetzt! Tiefer hinein oder aussteigen., sagte Herr Koffer, ich erlaube Ihnen Zeichen an den Wänden meiner Gehörgänge zu hinterlassen, dass sie nach dem Wind den Weg wieder finden. Ich will sie ja auch nicht mein Leben lang in meinem Ohr wissen. Au! Nicht so tief ritzen.

Während der Floh durch Herrn Koffers Labyrinth stieg, stieg Herr Koffer dem Pfeifen nach. Es führte ihn durch eine Klamm auf eine Hochebene hinauf. Am Ende der Ebene sah er etwas rotes leuchten, dass sich in die bleichen Berge schmiegte. Dort wohnte das Pfeifen in seinem Ohr. Er war sicher. Warum er sich sicher wähnte, wusste er nicht, es lag im Pfeifen. Über die Hochebene hinweg ging er geradewegs darauf zu. Der Wind war stark, dass er den Zylinder in die Hand nehmen musste. Und obgleich er gegen die Kraft des Windes anging, wuchs sie sich zur Anziehungskraft aus. Herr Koffer konnte sich ihr nicht entziehen. Vor dem roten Leuchten sah er, das jemand ihm zugewandt wartete. Auf ihn wie es schien. Obgleich es Herrn Koffer nicht gläublich war, dass je jemand im Leben gerade auf ihn warten würde. Als Herr Koffer dem Jemand direkt gegenüber stand, wusste er nicht, was er sagen sollte. Zu lang war er wohl allein, nur in Gesellschaft von Floh und Flöhen unterwegs gewesen. Aber er sah jetzt woraus das rote Leuchten rührte. Es rührte aus den Steinen. Ein rotoranges Band zog sich durch die Felssteine, mit der das winzige Haus in den Berg gebaut worden war. Diesem Ton war Herr Koffer hie und da auf seinem Weg durch die bleichen Berge bereits begegnet. Ein rotoranges Band wie das wilde Haar der winzigen Bewegung. Ein rotoranges Band wie das Ziehen in ihm. Ein rotoranges Band wie das Pfeifen im Ohr. Einer Zeitschicht gleich zog es durch den einen oder anderen bleichen Berg und nur die Sonne vermochte es mit Abend- oder Morgenlicht für kurze Zeit zu übertönen.

– Ich bin Orhan, der Hüter der Hochebene, sagte jener Mensch, der wartete, und Sie sind Herr Koffer, richtig?

– Ja, Herr Koffer, sagte Herr Koffer, woher… ?

– Felice Rossi hat Sie angekündigt.

Herr Koffer setzte seinen Zylinder wieder auf und hielt ihn fest auf den Kopf gedrückt, dass er nicht noch eine Beule bekäme.

– Was hüten Sie?, fragte er.

– Die Hochebene.

– Die Hochebene?

– Die Hochebene und den Winter. Beides werden wir gemeinsam hier hüten., sagte Orhan

– Woher wollen Sie wissen, dass ich bleibe?

– Halten Sie die Nase in den Wind.

Herr Koffer hielt die Nase in den Wind und roch und wusste, was Orhan ihm zu verstehen gegeben hatte. Im Innern des Herrn Koffer klapperte es.

– Au!, schrie Herr Koffer.

– Was?, fragte Orhan.

– Ach ein Floh, den mir jemand ins Ohr gesetzt hat.

– Ich hatte eine Laus auf der Leber, als ich hierher kam.

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