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eine Art Anbaugebiet

Der Zweistirnige

Fortsätze.  An die Kritiker: An dieser Stelle habe ich bewusst die Zeitform geändert.

Der Wind zerstreut sich im Haus und lässt den Schnee am Eingang zurück. Während die Wolken weiter ihre Fracht dort abladen, geht Herr Koffer aus eigenem Antrieb weiter. Vor Orhan bleibt er stehen. Der spielt weiter sein teuflisches Spiel auf der Geige. Die Männer sehen sich in die Augen. Eine Kraftprobe. Eine Machtprobe. Ein In-den- anderen-gehen. In-dem-anderen-sehen. Orhan spielt weiter sein teuflisches Spiel. Her Koffer wendet den Blick nicht ab, wie er es noch wenige Tage zuvor getan hätte. Er steht still, bis seine linke Hand nach der bogenführenden rechten Hand Orhans greift. Fest hält er sie im Griff, dass der Bogen keinen Bogen mehr schlägt. Die Saiten der Geige schweigen. Aber nur im Innern des Hauses. In Herrn Koffers Innenräumen hatten sie eine unbekannte Saite angeschlagen. Sie klingt und klingt und schwingt. Er nimmt Orhan den Bogen ab. Er zieht ihm die Geige aus der Höhlung zwischen Kinn und Schulter. Mit beidem, Bogen und Geige, geht er langsam und sehr bewusst zu dem grob gezimmerten Tisch hinüber. Er legt erst den Bogen darauf ab. Vorsichtig, als wäre er aus zartem Glas gefertigt. Gleiches tut er mit der Geige und streicht mit den Fingerspitzen über den Klangkörper. Er schließt die Augen. Hörbar atmet er durch die Nase ein und aus. Er hebt den Kopf gegen das Obere des Hauses, während seine Finger weiter über den Geigenkörper streichen. Eine Weile steht er so, um seinen Blick eine unbekannte Zeit später gegen die Tür zu richten. Die Blickwendung ändert nichts am Streicheln der Geige mit den Fingerspitzen. Sie formen unentwegt ihre Rundungen nach. Schließlich lässt er von ihr ab. Bedacht, sehr gerade im Gang, festen Schrittes und mit betonter Langsamkeit geht er zur Tür. Mit einer ausladenden Geste schließt er sie. Wieder steht er eine Weile die Handflächen an die Tür gelehnt. Mit einem Ruck sieht Orhan Herrn Koffer sich umdrehen und auf ihn zustürmen. Orhan rührt sich nicht. Gefasst steht er, als wüsste er, was auf ihn zu kommt. Ruhig, als erwarte er, was als nächstes passieren würde. Herr Koffer springt Orhan an den Hals, wirft ihn zu Boden und kommt rittlings auf dem am Boden liegenden zu sitzen. Herr Koffer legt seine Hände um Orhans Hals und drückt zu. Henrie Heid, Orhan, sagt Herr Koffer, hier haben Sie meinen Namen, Henrie Heid. Er presst die Worte hervor, als drückte er sich selbst den Hals zu. Henrie Heid. Orhan hebt seinen rechten Arm. Er greift nach Henrie Heids Hemdkragen. Es ist keine Geste der Abwehr, eher als wolle er ihn zu sich herunter ziehen, ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Henrie Heid beugt sich nicht. Orhans Hand lässt schließlich vom Hemdkragen ab und fällt schlaff zu Boden. Der harte Klang der fallenden Knöchel lässt Henrie Heid die Hände vom Hals lösen. Weiterhin sitzt er rittlings auf Orhans Körper. Er hebt die eigenen Hände und dreht sie vor seinem Gesicht. Prüfend, ob sie dem gewachsen waren, was sie soeben getan hatten. Doch ist keine Reue in seinem Blick, keine Scham, keine Angst. Henrie Heid sieht in Orhans Gesicht. Keine Regung. Er legt seine Fingerspitzen an die Halsschlagader des am Boden liegenden. Fühlt Henrie Heid etwas? Fühlt Henrie Heid nichts? Fühlt er einzig seinen eigenen Puls in den Fingerspitzen? Fühlt er den Puls der Erregung? Oder fühlt er Orahns Puls? Henrie Heid steigt von dem reglosen Körper und legt sich in gleicher Weise neben ihn. Er hört die Erregung in sich rauschen. Sie rauscht im Kopf. Sie rauscht in den Adern. Sie rauscht durch ihn hindurch, dass alle Nerven gespannt sind wie die Saiten der teuflischen Geige. Sie klingen langsam ab. Henrie Heid will den Rausch genießen, solange er rauscht, wie er stets den ersten Schluck Rotwein genossen hatte, der beim zweiten Schluck schon nachließ und mit jedem weiteren der Betäubung gewichen war. Henrie Heid gibt sich dem Rausch hin. Er bringt eine nie gesehene Klarheit in ihn. Eine nie geglaubte Bewusstheit. Die Welt ist wirklicher, als sie Henrie Heid, als sie Herrn Koffer je vorgeschwebt war. Es wird dunkel.

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