Deserteur mit Zylinder
– Aus welchem Grund würde Sie ein Maschinengewehr in meinem Geigenkoffer beruhigen?, fragte Herr Koffer
– Ich bin ein Floh., sagte der Floh
– Das weiß ich, aber was hat das mit dem Maschinengewehr zu tun?
– Ich bin winzig, sagte der Floh, und hocke in deinem Ohr, das wiedrum an deinem Kopf wächst und würdest du ein Gewehr… eine Geige kann eine… wie ein Koffer voll mit Wattestäbchen;- für mich… eine Waffe wird zur Waffe, durch den den sie trifft. Manchmal ist die Waffe Watte.
– Und die Ironie?, fragte Herr Koffer
– Die Ironie liegt nahe dem Zynismus. Es ist nur ein kleiner Schritt für einen Men…
– Wir sind bald da., sagte Herr Koffer
– Im Zynismus, kreischte der Floh
– Im Valetta di Ventura und nach allem, was ich las, erwartet uns dort alles andere – kein Zynismus.
– Dein Wort in Gottes Ohr, sagte der Floh
– Sind Sie sicher?
– Sicher? Sicher bin ich nicht. Wie wäre es mit einem Glas Rotwein?, fragte der Floh.
– Den Koffer habe ich irgendwo stehen lassen, sagte Herr Koffer
Schweigend fuhren sie in den ersten Berg. Serpentine um Serpentine schraubten sie sich in die Landschaft. Mit jeder Wendung wurde Herr Koffer stiller, bis er nahezu abwesend war. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er sich entfernte, nur wusste er nicht wovon und dies war auch der Grund, aus dem er nicht sagen konnte, wem oder was er sich näherte. Dass es nicht einzig Felice Rossi war, ahnte er. Doch was wusste er nicht? Alles was er wusste, war und: Entfernt sich ein Mensch, nähert er sich anderem. Das ist die Logik des Reisenden. An dieser Stelle zog Herr Koffer die Handbremse und stieg aus. Der Floh erwachte, da die Welt plötzlich still stand.
– Warum halten wir?, fragte der Floh
– Wir halten nicht, wir reisen auf eine andere Art weiter., sagte Herr Koffer und packte den Geigenkoffer aus. Der Floh verbiss sich weitere Fragen. Es war nicht der Zeitpunkt für weiterführende Fragen, die nicht weiter führten. Herr Koffer öffnete den Geigenkoffer, zog eine winzige Mundharmonika aus seinen Tiefen und spielte ein paar Töne darauf. Ja, die Harmonik des Atmens beherrschte er wieder. Er war bereit. Harmonika mundi, rief er aus voller Brust und zog sich aus bis auf das nackte Leben. Sorgsam legte er alles in den Geigenkoffer. Dann nahm er den Überseekoffer und stieg in den Frack. Gleiches tat er mit Lackschuhen, Gamaschen und Schuhkoffer, sowie Zylinder und Hutkoffer. Die Mundharmonika tat er tief in die Brusttasche des Innenfutters. Als er fast vollständig aus der alten in die neue Haut geschlüpft war, öffnete er das Handschuhfach. Er war gewandet für die Weiterreise.
– So willst du weiter?, fragte der Floh
– Ja. Sind Sie der Uniformität in Mercato nicht gewahr geworden? Die Kleider, das Gemüse, die Mengen an Fleisch und… die gestrafften Häute, die Masken…
– Du siehst eindimensional. Denke an die Feigen., sagte der Floh
– Die Feigen? Hm, die sieben Feigen. Trotzdem, ich brauche diese eine Dimension im Augenblick, mir ein erstes, ein eigenes, ein weiteres Bild zu machen… wie sie marschierten, entlang der Stände… sie werden mehr und mehr und uniform und das wird nicht mehr klein geschrieben… die Werbeplakate… die Laufschriften… Soldaten… und ihre Drahtzieher haben keine… ungern, ungern gebe ich Ihnen Recht, aber hier und jetzt muss ich es wohl oder übel: Eine Waffe wird zur Waffe durch den, den sie trifft und manchmal merken wir zu spät, dass wir getroffen sind. Ich will kein Soldat mehr sein. Ein Deserteur will ich werden.
– Natürlich, fistelte der Floh, das alles ist natürlich, alles vollkommen natürlich.
– Nein, sagte Herr Koffer, vollkommen ist es erst, haben wir auch das letzte Drittel der Acht vollendet. Wir sind an diesem Punkt hier schon einmal vorbei gekommen. Unser Weg beschreibt eine Acht. Jetzt sind wir am Kreuzweg, da wo die Schleifen sich binden. Der letzte Kreis wird sich schließen, erst dann ist er natürlich und wir müssen auf andere Weise weiter. Zu Fuß!
– Ich habe keine Füße, sagte der Floh
– Warum trugen Sie Schuhe, als ich Sie das erste;- und letzte Mal sah?
– Das war der Rotwein., sagte der Floh.
– Wir müssen weiter und zwar schrittweise., sagte Herr Koffer, von West nach Ost. Nur in dieser Richtung erreichen wir das Haus Felice Rossi und nur so öffnet es sich, sprach Herr Koffer, öffnete den Picknickkoffer, nahm die sieben Feigen heraus und tat sie zu den Sachen in den Geigenkoffer. Er schulterte ihn, nahm den Kofferkoffer in die eine Hand, den Aktenkoffer in die andere und ging. Der Schuh drückte ihn. Mal der rechte mal der linke. Doch mochte der Schuh drücken, wie er wollte, aufhalten würde Herrn Koffer kein Schuh. Er beschrieb die letzte Runde der Acht. Wie groß die Runde werden würde, wusste er nicht. Jeder Schritt trug ihn schwereloser in die geraume Zeit, die sich vor ihm auftat: Valetta di Ventura, ein kleines Tal zwischen mächtigen Bergen. Ab und zu ruhte der Reisende, Kraft zu schöpfen, mal aus einem Bach, mal auf einem Fels und mal auf der Mundharmonika. Er spielte: Difficult answer of my prayers.