Ein bestimmter Koffer
zu Koffer-bestimmt von Jan Borchert eine Fortpflanzung der Koffer
Nachdem Herr Koffer mit dem Floh im Ohr alle Berge hinter sich gelassen hatte, war das Leben auch nicht eben, aber Herr Koffer war auf eine sonderbare Weise zufrieden, was, angesichts seiner angeborenen Vorsicht, einer Vorstufe von Glück gleichkam. Herr Koffer reiste von Ort zu Ort, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, wo er den Kofferkoffer öffnete, um die Flöhe tanzen und springen zu lassen. Der Floh im Ohr war ihm dabei ein guter Regisseur, Unterhändler, Buchhalter und auch sonst ein angenehmer Begleiter, der ihm so manch Anekdote flüsterte und sich in der Welt der Ohrwürmer zu Hause wusste, dass Herr Koffer alsbald das eine oder andere Liedchen auf den Lippen hatte.
So geschah es, dass sie nach der Stadt Mercato kamen. Es war Markttag in Mercato und eigentlich war immer Markt in Mercato, nur dass an diesem Sonntag öffentlich gehandelt wurde. Die Straßen waren ein einziger Zug aller Stände und Herkunft und Herr Koffer fragte sich, ob es so viele Menschen gebe, dass all die Sachen verkauft würden. Hosen, Hemden, Unterzeug, Socken, Brot, Obst, Gemüse, Taschen und ja, auch mit Koffern wurde gehandelt. Manch Handelsmann brauchte dafür keinen Marktstand, es genügte der Stand der Familie. Man zeigte sich einfach, was in den Koffern steckte, nickte, schlug sich die Hände und ging wieder ein jeder seiner Wege. Herr Koffer hingegen hatte es schwer zwischen den Ständen einen Platz für den Flohzirkus zu finden. Die kleinen Künste des Lebens fanden kaum Raum zwischen den großen Geschäften und unter den geschätzten Ständen. Auf der Suche nach einem kleinen Freiraum, stolperte Herr Koffer, wie soll es anders sein, über einen Koffer. Das heißt, er blieb, kurz bevor er über ihn stolperte, vor dem Koffer stehen.
– Was?, fragte der Floh im Ohr
– Ein Koffer, sagte Herr Koffer
– Ja, jetzt sehe ich ihn, sagte der Floh, und herrenlos ist er dazu.
– Ein Koffer ohne ein Herr, ist ein Zeichen des Himmels, sagte Herr Koffer
– Vielleicht enthält er Sprengstoff, sagte der Floh
– Das ist ein Aktenkoffer, sagte Herr Koffer empört
– Eben! Was ist eigentlich in deinem Geigenkoffer?, fragte der Floh
– Ein Maschinengewehr, sagte Herr Koffer
– Das beruhigt mich, sagte der Floh
– Das war Ironie.
– Das beunruhigt mich.
– Was machen wir jetzt?, fragte Herr Koffer.
Er schätzte inzwischen auch die Ratschläge, die der Floh ihm gab, ging in die Knie, nährte sich dem Aktenkoffer auf allen Vieren und las, was auf dem Kofferschild stand. Felice Rossi, Valetta di ventura 8.
– Das habe ich schon irgendwo gelesen, sagte Herr Koffer
– Ja, das Tal lag auf halben Weg über alle Berge, sagte der Floh
– Und jetzt?, fragte Herr Koffer und ahnte, was kommen würde, hatte aber durch des Flohs Flüstern rhetorische Fragen lieben gelernt. Er packte den Koffer und sie machten sich auf den Weg zurück über alle Berge. Bis zur Hälfte müssten sie in jene Berge zurück reisen. Der Aktenkoffer indes war widerspenstig. Er ließ sich nicht so einfach packen und erst recht nicht auspacken. Doch als es Herrn Koffer mit Hilfe des Flohs gelungen war, den Zahlencode zu knacken, fanden sie, was sie auf dem Markt in Mercato befürchtet hatten. Akten. Und nach allem, was Herr Koffer mit seiner bescheidenen Kenntnis der Sprache des Landes hinter allen Bergen zu lesen vermochte, waren sie Sprengstoff und gehörten, wollte er gezündet werden, ins Valdetta di ventura Nummer Acht gebracht.