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eine Art Anbaugebiet

NESTFLÜCHTER – Antwort auf „Im Zivilisationsdschungel“

Das Zimmer roch nach Reinigungsmittel, Kunststoff und Staub. Es roch nach abgelegten Tagen. Nach flüchtig aufgelegtem Parfüm. Nach fiebrigen Berührungen. Auf dem Doppelbett die grüne Tagesdecke war so glatt gestrichen, dass man sich nicht darauf legen durfte, nie. Hark wollte sie unberührt lassen. Jungfräulich, das Wort fiel ihm ein. In einem Hotel dieser Art… schiefmäulig musste er grinsen. Hark stellte seine kleine Tasche auf die Kofferablage in dem winzigen Flur. Kurz öffnete er die Tür ins Bad. Dusche, Toilette. Zwei Handtücher ordentlich über dem Handtuchhalter. Aus dem Spiegel schaute ihn ein Gesicht an. Hark erschrak und wusste doch, dass er es selbst war dort im Spiegel. Augenringe, schwere Lider, silbrigweiße Bartstoppeln zogen sich wie Schimmel über Wangen und Kinn.

Hark schob die nicht ganz weißen Stores vor dem Fenster zur Seite. Das Geräusch glaubte er tausend mal gehört zu haben. Klingt überall gleich, dachte er. Drunten floss ein stetiger Autoverkehr. Hark hatte auf ein Zimmer im obersten Stockwerk bestanden. Er wolle Himmel sehen, hatte er mit Nachdruck beteuert. Der Fensterflügel schwang nach dem Öffnen heftig nach drinnen wie von außen aufgedrückt, vom Lärm vielleicht, der plötzlich über Hark zusammenschlug, wie eine Woge und ihn einen Moment nach Luft schnappen ließ. Die Stadt toste, ein stetiges Dröhnen, melodisch durchbrochen von ungeduldigem Hupen. Verstärkt wurde das ganze von oben, wo ein Flieger seine Nase Richtung Flughafen senkte. Fast, so schien es Hark, konnte er das Fahrwerk berühren, wenn er sich nur weit genug empor reckte. Oder wenn er ein Stückchen in die Luft sprang. In Kürze würde der Flieger auf einem Rollfeld aufsetzen. Und die Erinnerung rief das flaue Gefühl im Magen auf, dass Hark von den schnellen Sinkflügen kannte, wie auch vom abwärts sausen der Achterbahn, mit der er als Kind gefahren war. Ein Gefühl zwischen Angst und Lust, mehr Lust, viel mehr Lust. So viel, dass er, selbst als Geschäftsreisender beim Landeanflug am liebsten gejauchzt hätte, oder sogar, wenn Luftlöcher, wie es hieß, die Maschine im Flug durchschüttelten.

Die Lärmwoge draußen kehrte in Harks Bewusstsein zurück. Wieder rang er einen Moment nach Luft. Dann beugte er sich aus dem Fenster. Da unten tobte das Leben. Der Zivilisationsdschungel. Hier oben aber war ein Nest. Wie für einen Falken. Den Fensterrahmen spürte Hark an seinem Beckenknochen. Unter seinen Füßen den weichen Teppich. Plötzlich interessierte ihn brennend, welche Farbe der Teppich hatte, auf dem er stand. Er schwang den Oberkörper zurück ins Zimmer. Grün war der Teppich, grün wie die unberührbare Tagesdecke auf dem Bett. Hark wandte sich wieder dem Zivilisationsdschungel zu. Kissen? Welche Farbe hatten die Kissen auf dem Bett? Ein kurzer Blick zur Seite, ach ja, lichtgelb. Draußen geradeaus sah er auf die Dächer der Stadt. Eine Taubenschar stieß in den Himmel und steil wieder hinab. Wieder dieses Juhuuu! im Magen. Wie schön sie fliegen konnten, diese Tiere. Hark verfolgte den Synchronflug der Tauben, bis er sie aus dem Blick verlor. Weit hatte er sich dafür aus dem Fenster beugen müssen. Die Tauben verschwanden unterhalb seiner Etage um die Ecke des Hotels. Von nebenan drang aus einem angekippten Fenster eine laute Stimme. Jemand brüllte, wohl ins Mobiltelefon. „…Hallo? Ja! Verstehen Sie mich?“ – Pause. – „Können Sie mich verstehen?!“ – „Ja? Ja, genau! – Die Verbindung…- verstehen Sie mich?!“ Die Stimme entfernte sich ins Innere des Zimmers. Wie Schwalbennester waren sie hier oben unter das Dach geklebt, diese kleinen Zimmer mit den grünen Betten. Welche Farbe hatte wohl die Wand. Hark musste auch das noch wissen. Die Wände seines Nestes waren in ein Dottergelb getaucht. Das hätte ihm doch eigentlich auffallen müssen. Gelb berührte immer sein Herz. Es war dann, als würde es aufblühen, sich auffalten wie die Knospe einer Blume, einer Mohnblume vielleicht. Wo hatte er noch…? er drehte sich im Zimmer. Tatsächlich über dem kleinen Tischchen mit dem winzigen Fernsehapparat hing ein Bild. Aquarell: Mohnblumen in einem Kornfeld. Blaue Tupfer dazwischen, Kornblumen. Das Gelb des Kornfeldes war etwas heller und leuchtete schön heraus aus dem Gelb der Wand. Das ist gut. dachte Hark. Ein gelbes warmes Nest ist gut, bevor er sich wieder dem Fenster zuwandte. Er freute sich auf das Gefühl des Sinkfluges. Rentner? Warum hatte die Frau am Empfang das eigentlich wissen wollen? Das hatte doch noch nie jemanden in einem der Hotels interessiert. Hier allerdings war er auch nie eingekehrt. Eines der schlichteren Häuser ohne besonderen Ruf. Ein Zimmer für die Nacht, für die Durchreise, für den unerwarteten Aufenthalt, für einen flüchtigen Besuch. Ein Haus für Nestflüchter. Nah am Flughafen. Nah dem Himmel. Die Frau am Empfang hatte dann auch nicht weiter gefragt. Die Warteschlange hinter ihm zeigte schon zischelnd die Giftzähne. Ermäßigungen interessierten Hark sowieso nicht. Vielleicht hatte die Frau ihm Opernkarten für den Abend anbieten wollen. Er wusste, dass die Oper in der Stadt eine der besten des Landes war. Er wusste das ganz genau, denn er hatte oft genug Geschäftsfreunde dorthin.. ach was! – und dann immer die teuersten Karten. Rentner! Wie oft hatte er jemanden in den Feierabend geschickt, den letzten. „Sie waren einer unserer tüchtigsten Mitarbeiter.“ Ein Gläschen Sekt, ein Präsent – und die immer etwas verlorenen Blicke der Ausscheidenden. Wer oder was scheidet wen oder was aus? Ausgeschieden. So stand er jetzt hier. Kein Sekt. Kein Präsent. Nur die Empfehlung, die Chance zu nutzen. Und vorher dieser Affentanz. Freundliche Übernahme. Diese jungen aalglatten Gesichter, selbstsicher und verlegen zugleich. Die werden sogar noch rot, wenn sie eine Entscheidung verkündetetn. So, als seien es nicht ihre eigenen Entscheidungen. Waren sie es denn? Seine Entscheidungen waren plötzlich wie .. ja wie eigentlich? – er hatte vorher nie erlebt, dass man sich abwandte, wenn er das Wort ergriff. Und er ergriff es um so nachdrücklicher. Die Worte, die die aalglatten weichen Jungenmünder absonderten, waren nicht nachvollziehbar. Da hatte er lachen müssen. Die Projekte, die er aufgebaut hatte, galten als nicht mehr zeitgemäß. Zu kostenintensiv seinen sie, hieß es. Da hatte er noch mehr lachen müssen. Und wie die Leute alle gebückelt waren. Gekrümmt hatten sie sich und waren geflitzt – die Sekretäre und die kleinen Angestellten. Schlagartig leerten sich Büros, wurden hochpreisig vermietet. Die verbleibenden Mitarbeiter stöhnten unter den neuen Lasten. Und er? Abgeholt hatten sie ihn. Als er nicht mehr hatte aufhören können zu lachen. Es sei doch das beste. Erholen habe er sich sollen. Und dann solle er die Chance ergreifen. Er habe schließlich noch gute Zeit vor sich. Und seine Rente sei ja lohnend. Zuckersüß waren die Worte aus den weichen Jungmännermündern geflossen. Diesmal hatte es keinen Sekt und kein Präsent gegeben, als er aus der Klinik entlassen sofort wieder im Büro stand. Drunten floss der Verkehr stetig, dröhnend wie hier, brausend, die Lärmwoge… Wellenreiten – war er als junger Mann gewesen. Stolz und kühn. Bis er einmal in den Dreck gebissen hatte. Eine Unterströmung hatte ihm das Board unter den Füßen weggerissen und er war auf den Grund geschlagen. Mit dem Gesicht auf Stein. Geschmack von Blut. Knirschen von Sand und Knochen. Er war jung gewesen. Das steckt man das weg. Sekt und Präsente hatte es gegeben, als er wieder im Büro erschienen war, damals.
Das Abendlicht vergoldete ihm jetzt das Nest. Hark hatte sich einen Picolo aus der Minibar geholt. Der offene Fensterflügel griff weit ins flüchtige Zimmer. Der letzte Schluck – „Auf das Leben!“ rief Hark, trank und breitete die Arme aus.

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